Als ich klein war, war es für mich völlig logisch, dass ich jede Woche einen festen Termin hatte, zu der ich meine Lieblingsserie im Fernsehen gesehen habe. Und wenn ich jeden Tag was gesehen habe, dann immer zur selben Zeit, was mir das Fernsehen vorgesetzt hat. Mit dem veröffentlichen ganzer Staffeln nicht erst nach vielen vielen Jahren auf VHS, falls es je rauskam, sondern auf DVD relativ Zeitnah nach der Ausstrahlung wurde es üblich, das Zeug am Stück sehen zu können. Es fühlte sich gut an, nicht mehr jede Woche zu warten, vergessen zu haben was passiert ist, und auch noch die nervigen Werbeunterbrechungen ertragen zu müssen.

Heutzutage ist es sogar normal, dass Netflix eine gesamte Staffel ihrer brandneuen Eigenproduktion auf einmal zur Verfügung stellt. Binge Watching ist ein geflügeltes Wort geworden. Nicht nur zu schauen wann wir wollen, sondern auch gleich etliche Folgen am Stück, wenn nicht gar die ganze Staffel. Der ganz große Unterschied ist, dass Ähnlichkeiten und Lücken in der Geschichte viel mehr auffallen und Serien neue Qualitäten entwickeln mussten, aber das Ergebnis ist mehr Qualität und vor allem neue Erzählformen. House of Cards gilt als ein Musterstück, aber auch Breaking Bad hat das sehr gut getan. Bei mir fing es schon mit der ersten Staffel 24 an. Der Fernseher wurde vor 12 Jahren abgeschafft. Es geht ohne.

Beim Spielen ist das natürlich nie ein Thema gewesen. Es ist völlig logisch, das ein Spiel einfach durchgespielt wird, waren die Spiele doch bisher eher wie ein guter Film. Neuerdings bewegen wir uns aber davon weg. Spiele wie T.I.M.E Stories, oder 7th Continent kommen mit der Möglichkeit das Spiel abzuspeichern wie bei einem Computerspiel, indem die Materialien geschickt in der Schachtel verstaut werden können. Da hat sich jemand Gedanken gemacht, die sich der Spieler selber nicht mehr machen muss. Gerade bei einer Spielzeit, jenseits der 4 Stunden ist das echt keine dumme Idee. Etliche Spieler der Cosim-Fraktion werden jetzt müde lächeln, weil die es gewohnt sind ihre Aufbauten auch über Nacht stehen zu lassen. Gibt es doch genügend Spiele, die sich über etliche Tage hinziehen. Aber es ist doch ein Unterschied zwischen einem Spiel, das einfach nur lange dauert, und einem, das versucht eine echte Geschichte zu erzählen.

Erzählen

Und erzählen ist hier das Stichwort. Der Doku-Film Video Games The Movie, erzählt auch davon in welcher Richtung sich die Computerspiele Schritt für Schritt entwickelt haben und der letzte Schritt war, das erzählen einer Geschichte. Ein Punkt der in Brettspielen bisher gänzlich fehlte. Thema war vorhanden. Eine Handlung war aber selten bis nie enthalten. Oder so abstrakt, dass sie verglichen mit diesem Ansatz eher als Witz aufgefasst werden kann. Dazu zählt auch die Robinson Crusoe-Erweiterung, die unfraglicherweise eine Geschichte erzählt, aber diese doch eher auf der abstrakten Ebene lässt. Das Erzählen einer Geschichte in Brettspielen ist für mich neu und hier auch so innovativ umgesetzt, das es eigentliche keine Frage ist, dass dies Preise gewinnen dürfte.

Und wenn die Geschichte so gut erzählt ist, das es die Spieler einsammelt, uns in den Mittelpunkt stelle und wir die Fäden ziehen und die Hauptcharaktere sind, dann reicht es nicht jede Woche eine Runde zu spielen, sondern dann trifft man sich gleich mehrmals die Woche und spielt fünf oder sechs Partien hintereinander. Binge Playing! So muss sich Brettspielen der nächsten Generation anfühlen.

Ganz wichtig: Es gibt natürlich Spiele wo man Geschichten erzählen muss. Rollenspiele oder auch Story Cubes oder die Krimi-Party-Spiele fallen mir spontan ein, aber das ist doch etwas anderes und viel freieres. Die Spieler erzählen in dem Fall eine Geschichte, müssen das narrative Element füllen, nicht das Spiel.

Geschichte

Pandemie ist ein Phänomen. Es war nicht das erste kooperative Brettspiel, das aus der Großgruppen Ecke rauskam und wirklich etwas bot. Das hat schon 9 Jahre vorher das Herr der Ringe Brettspiel von Reiner Knizia geschafft. Knizias Meisterwerk war aber dennoch ein langes Spiel. Wenn mann es durchspielen wollte, brauchte es locker zwei oder mehr Stunden. Es war erschöpfend und fühlte sich doch episch an. So wie die literarische Vorlage. Und mit den Erweiterungen, die das Spiel um Elemente, die im Grundspiel von der literarischen Vorlage fehlten, ausfüllte, war es mehr als Abendfüllend.

Pandemie war auf einmal anders. Es hat keine Lizenz, es ist schnell und fühlte sich realer an. Wer keine dicken Bücher gelesen hat, konnte dennoch nachvollziehen was da passierte. Und es wurde so schnell von so vielen geliebt das es als echter Wegbereiter der kooperativen Spiele gelten darf. Matt Leacock hat sich sogar selber kopiert und zwei leichtere Versionen noch auf den Markt gebracht mit Die verbotenen Insel und Die vergessenen Stadt. Was danach aus dem Boden sproß war reichhaltig und anders. Kooperativ konnte auf einmal ganz verschieden sein, sei es Die Legenden von Andor, Hanabi, Ghost Stories, Flash Point Fire Rescue, Die Zwerge oder auch Robinson Crusoe. Kooperative Spiele sind angekommen und gelten als normal. Alles dank Pandemie.

Auf der anderen Seite das Legacy Konzept. Als Risk Legacy (auf Deutsch Risiko Evolution, bzw auf dem beiliegenden Stift steht Risiko Revolution) auf den Markt kam, war das gefühlt wie ein Schock. Das sorgsame behandeln der schönen Spiele gehöre für die meisten logischerweise dazu. Die kleinste Ecke in der Schachtel vom Postversand gibt Grund zu klagen. Die Sammlung zu pflegen und beim Weiterverkauf Bilder vom perfekten Zustand anzugeben mit dem Hinweis auf einen Nichtraucherhaushalt ohne Tiere war Pflicht.Mit Wertsachen ging man ordentlich um. Und Spiele waren eine Wertsache.

Auf einmal sollten Sachen bemalt, beklebt und zerrissen werden. Das war ein Unding So etwas wollte keiner. Außer ein paar die gesagt haben, wir geben dem Spiel eine Chance und kaufen uns im Notfall ein zweites für die Sammlung. Die Wahrheit ist aber, dass das für all diese, dass Gespielte mehr Wert hat. Da hängen Erinnerungen dran. Es ist individuell und das macht es zu einem der größten Schätze in der Spielsammlung. Wenn man sich gemeinsam an Geschehnisse erinnert, als Orte eingenommen wurden, als Städte benannt und Päckchen mit Überraschungen geöffnet wurden.

Und auch in das Päckchen das nie und unter keinen Umständen geöffnet werden darf, wurde am Ende reingeschaut. Das Legacy Konzept war genial. Aber es war auch mit ein paar Kinderkrankheiten belastet. Sachen die man besser machen wollte. Warum Spieler die besser waren mehr belohnen, als Spieler die weniger gut waren. Das Gefälle könnte zunehmen. Warum nicht das Ganze auf ein Kooperatives Spiel gießen.

1+1=3

Pandemie bietet sich ja gerade zu an. Und die Mischung passt perfekt. Besser als Cola und Orange, besser als 24 und Werbeunterbrechungen. Pandemic Legacy reißt alle mit, weil sie zusammen etwas erleben. Etwas was in der Form kaum bis nie möglich war. Pandemic Legacy ist im Nachhinein betrachtet das Logischste Ergebnis, weil es sich auch auf Grund der derzeitigen Geschehnisse und popkulturellen Themen wirklich einfach zu transportieren und zu erleben ist. Wir wissen was da passiert.

Und dennoch ist das Spiel voller WTF-Momente. Scheiße was passiert da gerade. Wir brauchen nun ein anderes Team um das zu schaffen. Die Geschichte so logisch sie auch ist, überrascht dann doch. Und die Geschichte, die erzählt wird ist fesselnd. Und das ist so vor allem, weil wir sie erleben. Wir schauen nicht nur zu, wie andere das durchleben und fiebern mit ihnen. Wir haben es selber in der Hand. Unsere Entscheidungen sind die wichtigen. Stückweise baut das Spiel auch darauf auf und führt neue Regeln ein.

Wie eine Serie werden neue Charaktere eingeführt und alte verschwinden. Wir fühlen uns wohl und dann kommt der bekannt Curveball und wirft uns aus dem Gleichgewicht, als hätte Lucy den Football für Charly Brown wieder weggezogen. Und mit welcher Intensität dieses Spiel das vermittelt und überrascht, zeigt auch ein Blick auf BGG, wo mehr Leute dem Spiel volle 10 Punkte geben, als alle andere Noten zusammen. Es hat den Weg in die Top 100 geschafft mit gerade mal 1000 Bewertungen. Es hat den Weg in die Top 10 geschafft mit gerade mal 1600 Bewertungen. Es wird auch noch Platz 1 werden. Und es wird dort für eine ganze Weile sitzen. Dessen bin ich mir sicher.

Ich hatte überlegt dem Spiel 3 Daumen zu geben, so innovativ finde ich es. Und es sollte sich von den vielen 2-Daumen-Spielen abheben die auch echt gut sind, aber nicht dasselbe. Ich halte es für aufbauend genug und nicht viel komplizierter als Die Legenden von Andor, dass es auch den Kennerspielpreis gewinnen könnte. Und jeder der behauptet, dass Spiel könnte man ja nur einmal spielen, dem muss ich sagen, dass wir es 18 mal gespielt haben. Denn zwischen 12 und 24 Spielrunden braucht es auf jeden Fall. und dafür kostet es weniger als eine Staffelbox 24. Und bietet mindestens genauso viel Unterhaltung. Auch in der Spielzeit bei rund 1 Stunde pro Spiel.

Die zweite Box wird rausgeholt, wenn Season 2 kommt. Denn dann müssen wir Binge Playing mäßig beide Staffeln durchspielen. Wer weiß ob wir uns noch an alles erinnern können? Und selbst wenn, denn das Erlebnis war prägend, wollen wir das nochmal erleben. Wir wollen sehen ob wir in zwei Jahren sogar ein besseres Ergebnis hinbekommen. Und an schönen Geschichten die man dafür erzählen kann dürfte es nicht mangeln. In der Zwischenzeit warte ich aufgeregt auf Seefall und Chronicles Origins. Ich will persönlicheres Erleben. Pandemic Legacy ist unbestreitbar das Beste Spiel des Jahres. Die Preise die es abräumen wird, werden das bestätigen.

Daumen Hoch 1Daumen Hoch 2

Autor: Rob Daviau Matt Leacock
Illustratorin: Chris Quilliams
Verlag: Z-Man Games, 2015
Vertrieb: Asmodee
Spielerzahl: 2-4 Kennerspieler
Links: Asmodee / Luding / BoardGameGeek